Liebe Mitglieder unserer Pfarrgemeinde!
Es gibt kaum eine Nacht des Jahres, die so viele Menschen berührt und bewegt wie die Heilige Nacht.
Sicherlich, uns Christen bedeutet die Osternacht, die Nacht der Auferstehung und deshalb die Nacht unserer Hoffnung auf das Leben, im Glauben mehr. Aber die Heilige Nacht reicht weiter. Sie erreicht auch Menschen, die vom Glauben an Jesus Christus nur ganz ferne oder überhaupt nicht betroffen und berührt sind.
In dieser Nacht verändert sich für ein paar Stunden scheinbar das Gesicht unserer Welt. Für ein paar Stunden sind die Menschen freundlicher zueinander. Für ein paar Stunden werden die Liebe und Zuneigung der Menschen in einer Weise offenbar, dass sie sich gute Wünsche aussprechen und sich beschenken.
Aber auch die andere Seite wird in dieser Nacht besonders belastend und bedrückend erfahren: Wer einsam und allein, wer obdachlos und krank ist, wer auf der Flucht oder getrennt von seinen Lieben ist, leidet in dieser Nacht besonders darunter. Er leidet unter Erinnerungen an frühere Jahre, an ein Weihnachten in der Geborgenheit im Kreise der Familie oder mit einem lieben Menschen.
Was aber macht den Zauber und die Faszination dieser Nacht aus, dass sie die Herzen so vieler Menschen zu bewegen scheint? Es sind eigentlich nicht die mehr oder weniger kostspieligen Geschenke. Es ist letztlich auch nicht das traute Beisammensein und Feiern vor dem Christbaum und vor der Krippe. Es sind auch nicht alte und bewegende Erinnerungen.
Was den Zauber dieser Nacht eigentlich ausmacht, das wird uns in der Weihnachtsbotschaft verkündet: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, der Messias, der Herr!“ (Lk 2,11).
Die Botschaft an die Hirten damals und an uns heute lautet: Gott ist in diesem Kind, das in Betlehem in einem Stall geboren wurde, Mensch und damit einer von uns geworden, Gott ist leibhaft und greifbar in unsere Welt gekommen. Seitdem ist unsere Welt grundlegend anders geworden: Gott ist uns ein für alle Mal nahe gekommen. Seitdem können wir ihn im Antlitz seines Mensch gewordenen Sohnes entdecken und wahrnehmen.
Freilich, so werden manche von uns fragen: Hat sich dadurch die Welt wirklich verändert? Hat sich durch Weihnachten je einmal tatsächlich etwas geändert? Das Leben in der Welt wird morgen oder in den nächsten Tagen wieder genauso weitergehen wie bisher. Die Welt wird genauso hin- und hergerissen sein zwischen Terror und Gewalt, zwischen Lüge und Hass, zwischen Trauer und Schmerz.
Die Angst vor der Zukunft, vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor der Zerstörung der Umwelt, der guten Schöpfung Gottes, wird bleiben.
Und wie steht es mit uns Menschen? Wird etwas bleiben von der Güte und Menschfreundlichkeit dieser Heiligen Nacht? Oder wird es wieder weitergehen wie bisher mit Streit und Egoismus, mit dem Kampf der Ellenbogen und Rücksichtslosigkeit? Wird etwas bleiben vom „Frieden der Heiligen Nacht“, den wir für unsere Familien und zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch für das Zusammenleben der Völker ersehnen?
Die Botschaft der Heiligen Nacht auf solch bange Fragen lautet: Gott ist uns in einem Kind nahe gekommen. Er hat dadurch die Welt und die Beziehung zu uns grundlegend verändert. Ein so kleines Kind ist ein hilfloses Wesen. Es besitzt keine Macht. Es kann sich nicht durchsetzen. Auf diese Weise ist Gott in die Welt, in unser Leben gekommen. Er wollte als Schwacher und Bedürfender einer von uns werden. Und dadurch hat er grundlegend die Welt und unser Leben verändert.
Und er wartet darauf, dass wir ihn annehmen. Zur Zeit seiner Geburt im Stall zu Betlehem ist er nur von wenigen angenommen worden. Es war kein Platz für ihn in der Herberge. Er musste draußen vor der Tür bleiben.
Bleibt Gott auch bei uns draußen vor der Tür? Haben wir ihn heute Abend eingelassen in unsere Familie, in unser Herz? Ist er uns in den zurückliegenden Wochen des Advents näher gekommen? Haben wir bei all dem Aufwand, der bei der Vorbereitung auf Weihnachten getrieben wurde und bei aller Geschäftigkeit noch an ihn gedacht?
Wir haben doch so viel geplant, organisiert und eingekauft, haben uns den Kopf wegen der Geschenke zerbrochen. Ist Gott dabei noch mitgekommen? Standen er und sein Kommen noch als Ziel all unserer Aktivitäten im Hintergrund?
Deshalb kann und wird es Weihnachten nur werden, wenn wir Gott, so wie er zur Welt gekommen ist, aufnehmen. Wenn wir ihn aufnehmen wie Eltern ihr Kind aufnehmen. Wenn wir ihm Raum geben in unserem Leben, wenn wir ihm Platz in unserem Herzen schaffen.
Wenn Eltern ein Neugeborenes aufnehmen, dann ändert sich auch ihr bisheriger Lebensrhythmus. Sie stellen sich auf das Kind ein – nicht gezwungenermaßen, sondern voll Freude über das Geschenk eines neuen Lebens, eines neuen DU.
Solches Annehmen eines Kindes soll uns ein Bild dafür sein, wie wir den Mensch gewordenen Gott, das Kind in der Krippe, annehmen können.
Hierzu bedürfen wir einer neuen Offenheit für Gott und der Freude über seine Nähe und sein Kommen in unsere Welt. Dazu bedürfen wir einer neuen Einstellung auf Gott hin. Dann werden sich unsere Welt und unser Leben von der Weihnachtsbotschaft her verändern können. Dann werden sich Spannungen vermindern lassen. Dann werden die Menschen sich gegenseitig annehmen und nicht ausschließen – in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft und auch in der Kirche, in unserer Pfarrgemeinde.
Dann kann wahrhaft Friede in unserem Leben einkehren!
Wenn wir uns diesem nahegekommenen Gott öffnen, dann gibt es Hoffnung für die Welt und für jeden Einzelnen von uns. Dann wird das Leben um uns herum heller werden. Dann dürfen wir erfahren und spüren, dass Gott bei uns ist und dass er seine Welt nicht vergisst, denn er ist in einem kleinen Kind einer von uns geworden.
Öffnen wir uns wie die Hirten damals für dieses Geheimnis der bleibenden Nähe Gottes und machen wir uns mit ihnen auf zum Kind in der Krippe!